Theorie der Pfadabhängigkeit

Die Pfadabhängigkeit ist eine Metapher für ein sozialwissenschaftliches Konzept. Dieses besagt, dass Entwicklungen einem bestimmten Pfad folgen, den sie anfangs eingeschlagen haben. Entwicklungen können ihre Richtung nicht mehr beliebig ändern, sondern sind vorgegeben wie ein Pfad, dem man folgt.

Eine Veränderung kann es nur an den Kreuzungen geben. Diese sind die Krisen. Hier verläuft die Entwicklung nicht linear, sondern chaotisch. An solchen „Kreuzungen“ kann die Entwicklung stark beeinflusst werden. Schon kleine Ursachen können eine grosse Wirkung auf die zukünftige Richtung haben.

Ist der Pfad aber dann wieder ausgewählt, folgt die Entwicklung wieder dem eingeschlagenen Pfad und kann trotz grosser Anstrengungen nicht mehr in eine andere Richtung gelenkt werden. Erst wenn wieder eine Kreuzung kommt, sprich eine Krise oder chaotische Situation.

Die Theorie führt zum folgenden Schluss: Eine Änderung der Richtung geschieht also in Krisen. Ist die Richtung dann einmal eingeschlagen, wird sie sich stabilisieren und bis zur nächsten Krise nur noch schwer zu ändern sein. Auch dann wird der Pfad weiterverfolgt, wenn sich herausstellt, dass eine andere Alternative besser gewesen wäre.

Alles liegt im Anfang

Gerade der Anfang einer Entwicklung ist daher besonders wichtig. Der Anfang entscheidet stark über den späteren Verlauf. Im Verlauf verhärtet sich die Bewegungsrichtung. Die Richtung wird durch zahlreiche interne selbstverstärkende Prozesse bekräftigt. Dann kann kaum noch auf einen alternativen Pfad gewechselt werden.

Selbstverstärkende Prozesse: Jeder Schritt in die eingeschlagene Richtung wird belohnt

Jeder Schritt in die eingeschlagene Richtung des Pfades wird belohnt. Dies geschieht irgendwann unabhängig davon, ob dies auch weitere Vorteile für die auf dem Pfad bringt. Also für die Unternehmen, Parteien oder Staaten. Dieser Selbstverstärkungsmechanismus beruht auch auf den Gewohnheiten, die wir als Menschen pflegen. Auch Fehler werden verfestigt.

Pfadabhängige Prozesse sorgen für Stabilität

Nach den Kreuzungen können Störungen und Probleme nicht mehr die Entwicklung aufhalten, und alternativen werden nicht mehr wirklich wahrgenommen. Diese Starrheit, die sich mit der Zeit entwickelt, gibt aber auch Stabilität und Zuverlässigkeit.

Durch eine Erschütterung bzw. Krise des eingeschlagenen Pfades geht diese Stabilität verloren. Diese Erschütterungen und Krisen können durch äussere und innere Ursachen hervorgerufen werden und einen Pfadwechsel ermöglichen. Dann gibt es wieder einen Wettbewerb von unterschiedlichen Alternativen und es besteht die realistische Möglichkeit, dass sich eine neue Alternative durchsetzen kann.

Pfadabhänige Prozesse gibt es in Wirtschaft und Politik. Auch in Vereinen und allen weiteren Organisationen. Pfadabhängigkeit gibt es aber nicht nur in Institutionen und Organisationen, sondern auch im Leben des einzelnen Menschen.

Auch Wörter folgen dieser Pfadabhängigkeit.

Sind Wörter erst einmal verbreitet, werden sie durch die gehäufte Verwendung in einer Sprachgemeinschaft zum Standard. Ungeachtet davon, dass es viele Synonyme gäbe, die den Sachverhalt besser ausdrücken würde. Da immer wieder das gleiche Wort verwendet wird, ist es am besten in unseren Köpfen verankert. Unser Weltwissen ist dann mit diesem Wort verknüpft. Das Wort aktiviert dann sofort dieses Weltwissen und umgekehrt. Synonyme fallen uns oftmals erst dann ein, wenn wir einen Blick in ein Wörterbuch wagen.

Neue Wörter in Krisen

Immer bei Erschütterungen und Krisen gibt es die Gelegenheit, dass sich neue Wörter durchsetzen können. Dies konnten wir auch insbesondere in der Corona-Krise sehen, wo sich eine Vielzahl von neuen Wörtern etabliert hat.

Bei Sprachstrategie diese Pfadabhängigkeit bedenken

Darum ist es wichtig für eine Sprachstrategie, die Theorie der Pfadabhängigkeit zu kennen. Nur dann erkennt man die Chance, eine bessere Wortwahl zu treffen. Und man erkennt besser, wann es wenig Sinn macht, gegen ein etabliertes Wort anzugehen. Wenn es erst einmal gesellschaftlich verankert ist und immer wieder genannt wird, lässt es sich kaum durch ein anderes Ersetzen.

Literatur

Rolf Ackermann: Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelreform. Mohr Siebeck, Tübingen 2001.

Raphael J. Mallach: Pfadabhängigkeit in Geschäftsbeziehungen. Springer, Wiesbaden 2012.

Mirco Schäcke: Pfadabhängigkeit in Organisationen. Duncker & Humblot, Berlin 2006.

Steven N. Durlauf: Path dependence. In: Steven N. Durlauf and Lawrence E. Blume (Hrsg.): The New Palgrave Dictionary of Economics. 2008.

Paul Pierson: Politics in time. History, Institutions and Social Analysis., Princeton University Press, Princeton NJ u. a. 2004.

Beyer, Jürgen, 2005: Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit! Wider den impliziten Konservatismus eines gängigen Konzepts, in: Zeitschrift für Soziologie 34, 5–21.

Beyer, Jürgen, 2006: Pfadabhängigkeit. Über institutionelle Kontinuität, anfällige Stabilität und fundamentalen Wandel. Frankfurt a.M.: Campus.

Mahoney, James, 2000: Path dependence in historical sociology, in: Theory and Society 29, 507–548.